Marienkapelle Horst

Einleitung

„Die es miterlebt haben, werden diesen Tag nie vergessen. Ganz Horst war voller Begeisterung“, schrieb eine Frau aus Horst ihrer Tochter über die feierliche Einsegnung der Marienkapelle am 8. Dezember 1954.

Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als hätten die Horster die Marienkapelle umsonst aus eigener Kraft und eigenen finanziellen Mitteln erbaut. Denn sie hatten den Kirchenbau ohne den Segen des Bischofs von Münster in Angriff genommen. Dieser weigerte sich, das Gotteshaus zu weihen. Damit hätten dort keine Eucharistiefeiern abgehalten werden dürfen. Schließlich ließ der Kirchenfürst sich soweit erweichen, dass er dem Werner Pfarrdechant Aschoff gestattete, die Kirche zu benedizieren, sprich zu segnen.

Auch zum Gedenken an Kriegsopfer

50 Jahre später gab der Pfarrgemeinderat von St. Sophia eine kleine Festschrift heraus, in der die 50-jährige Geschichte der Kapelle beschrieben ist. Die Rektoratsgemeinde Stockum war 1955 selbstständige Pfarrei St. Sophia geworden. 1956 wurde die Horster Bauerschaft inkorporiert und die Horster Marienkapelle zur Filialkirche von St. Sophia. „Bevor wir die Marienkapelle hatten, mussten die Horster zum Gottesdienst bis nach Werne zur Christophorus-Kirche“, erinnert sich Josef Bäumer, 2004 einer der ältesten Horster Bürger, in der Festschrift. Nach dem Krieg sei dann die Idee aufgekommen, in Horst eine Kapelle zu bauen, um den weiten Weg zu sparen. „Die Kapelle sollte außerdem zum Gedenken an die vielen Kriegsopfer errichtet werden, die Horst zu beklagen hatte“, schrieb Bäumer.

Bistum Münster gab kein Geld

Doch es gab Schwierigkeiten: Das Bistum Münster wollte den Kirchenbau in Horst nicht befürworten. Damit war von dieser Seite keine finanzielle Unterstützung zu erwarten. Trotz des ablehnenden Bescheids ließen sich die Horster nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Alle zogen an einem Strang; jeder trug mit kleineren oder größeren Spenden sein Scherflein zum Kirchenbau bei. Das Grundstück stiftete die Familie Suermann. Die Handwerker des Ortes halfen beim Bau der Kirche. Viele Einrichtungsgegenstände wie Altar, Tabernakel oder eine Glocke waren Einzelstiftungen. Und die Festschrift berichtet von einer Frau aus Horst, die einen ganzen Karton Kirchenwäsche gestiftet habe. Mehr als 40 Jahre nach der Benedizierung wurde die Marienkapelle doch noch geweiht – durch Weihbischof Dr. Josef Voß.

Die Marienkapelle dient inzwischen auch als Trauerhalle für den nahe gelegenen Friedhof. „Und sie entwickelt sich immer mehr zu einer beliebten Hochzeitskirche“, sagt Pfarrdechant Jürgen Schäfer.

Verwandt mit St. Konrad

„Für mich sieht diese Kapelle ein wenig aus wie Klein-St. Konrad“, meint Schäfer weiter. Der Eindruck kommt nicht von ungefähr. Die Marienkapelle hat, ebenso wie das 2018 abgerissene Kirchenschiff von St. Konrad, eine massive Giebelfront. Wo in St. Konrad eine große Rosette prangte, wurden in der Marienkapelle fünf schmale, hohe Fensteröffnungen eingelassen. Auch die kompakten viereckigen Kirchtürme sind sich ähnlich.

Angesichts der äußeren Verwandtschaft der beiden fast zeitgleich entstandenen Gotteshäuser – St. Konrad wurde 1958 vollendet – war es naheliegend, die Marienkapelle mit Inventar aus dem früheren Kirchenschiff von St. Konrad zu modernisieren. Nun spenden Lampen aus der ehemaligen Kirche im Evenkamp ihr Licht in der Horster Kapelle. „Wir haben sie umgerüstet auf LED, dass heißt es gibt 150 Watt Licht bei einem Verbrauch von nicht einmal 20 Watt“, erklärt Schäfer.

Auch Sakristei- und Kirchenfenster aus St. Konrad fanden in Horst eine neue Heimat. Dort waren die alten Fenster aus Industrieglas korrodiert. Sie wurden durch hochwertigere Seitenfenster mit Bleiverglasung aus St. Konrad ersetzt. Diese stammen aus den 1990er-Jahren und wurden vom Kunstglaser Philipp Hertel sorgfältig an die Fensteröffnungen der Marienkapelle angepasst. Gegenüber dem Chorraum der Kapelle befinden sich nun außerdem Teile der Rosette aus St. Konrad.

Glocken und Wandbild für die Schutzpatronin Maria

Auffallend ist das große Wandbild hinter dem Altar aus der Anfangszeit der Kapelle. Dafür wurden, wie Schäfer erklärt, zunächst mehrere Putzschichten aufgetragen, aus denen anschließend die Relieffiguren eingekerbt wurden. Im Mittelpunkt steht Maria mit Jesuskind und Rosenkranz als Patronin der Kapelle. Flankiert wird sie vom Werner Stadtheiligen Christophorus und von der heiligen Sophia, der Schutzpatronin der Muttergemeinde.

Im Zuge der Renovierung erhielt die Marienkapelle einen neuen Holzglockenstuhl samt moderner Elektrizität. Zusätzlich wurden das Geläut erweitert. Zwei Glocken waren bereits vorhanden, eine aus dem Jahr 1954 (Nachguss einer Wolter-Westerhues-Glocke), eine aus dem Jahr 1962. Beide sind ebenso der Muttergottes geweiht wie die beiden neuen Glocken. „Von diesen ist die eine Maria als Rosenkranzkönigin gewidmet, dem Wandbild in der Kapelle entsprechend, die andere Maria als Trösterin der Betrübten“, erklärt Jürgen Schäfer.

Der Glockenguss in Gescher war ein spannendes Ereignis für die Gemeinde St. Christophorus, zu der die Marienkapelle seit der großen Kirchenfusion 2013 gehört.

Glockenguss in Gescher

Fast 70 Frauen und Männer aus der St. Christophorus-Gemeinde fuhren am 8. April 2016 mit dem Bus nach Gescher, zur Glocken- und Kunstguss-Manufaktur Petit & Gebrüder Edelbrock. Sie ist eine der wenigen Glockengießereien, die es in Deutschland noch gibt. Der Guss einer Kirchenglocke ist ein seltenes Spektakel geworden. „Wenn wir im Jahr ein bis zwei große Glocken gießen, ist das schon viel“, erklärte Ellen Hüesker. Sie führte die Gäste aus Werne am Freitag vor und nach dem Glockenguss durch die Gießerei; ihr Mann Hans-Göran Hüesker setzt derzeit die über 300 Jahre alte Firmengeschichte fort.

 

Größter Glockenofen Deutschlands

Ellen Hüesker zeigt den Besuchern zunächst die Lehmkammer, danach die große Glockengrube, in der bis vor wenigen Tagen auch die Formen für zwei neue Glocken gestanden haben. Sie sind bestimmt für die Marienkapelle in Horst. Außerdem befindet sich in diesem Raum der größte Glockenofen Deutschlands, in dem maximal 13 Tonnen Metall geschmolzen werden können. So viel werden für die Horster Exemplare bei einem Glockengewicht von 180 Kilogramm nicht annähernd gebraucht. Sie werden daher aus dem Schmelztiegel gegossen, in einem anderen Raum.

 

Mit Sturm und Feuersgluten“

Dort lodert der Schmelzofen bereits seit mehreren Stunden, um die Bronze auf die nötige Temperatur von 1150 Grad zu bringen. Ellen Hüesker muss jetzt fast schreien, um das Brausen des Ofens zu übertönen. Vier Facharbeiter in Schutzanzügen – Heinrich Sicking, Michael Hörnemann, Andreas Grape und Siegfried Thiery – kreisen um den heißen Brei. Einer von ihnen rührt in dieser sogenannten „Glockenspeise“, die in Gescher aus 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn besteht. Angeleitet von Sicking verteilt sich die Gruppe im Raum. Liedzettel gehen von Hand zu Hand. Eine gespannte Erwartung breitet sich aus. Kaum jemand spricht. Alle schauen zum Ofen, aus dem orangefarbene Flammen hochschlagen. Und dann heißt es „Ist soweit“.

 

Pfarrdechant Jürgen Schäfer stimmt das erste Lied an, alle singen: „Der Geist des Herrn erfüllt das All mit Sturm und Feuersgluten.“ Im Raum verstummt das Brausen des Ofens, der rotglühende Schmelztiegel wird mit einem Kran herausgezogen. Mit einer Zange holt ein Arbeiter etwas Lavaähnliches aus dem heißen Tiegel und lässt es auf den Boden fallen. „Schlacke“, murmelt Willi Bülhoff fachkundig. Der frühere Küster von St. Christophorus hat schon einmal einen Glockenguss gesehen. „Das war in den 1970er-Jahren in der Eiffel“, erinnert er sich.

 

Bronzeguss nach alter Sitte

Die Arbeiter haben den Schmelztiegel auf einem Gestell abgesetzt und tragen dieses nun zu den beiden im Boden eingegrabenen Glockenformen. Schäfer spricht ein Gebet und segnet die Glockenspeise. Es ist 15 Uhr, die Todesstunde Christi. Nach alter Sitte werden Glocken nur freitags zu dieser Zeit gegossen. „Im Namen Gottes“, ruft Heinrich Sicking. Dann lässt er die glühende Bronze aus dem Schmelztiegel in die erste Glockenform fließen. Außer den Kommandos, die er und seine Kollegen sich zurufen, ist kein Mucks zu hören. Nach wenigen Minuten sind die Formen gefüllt. Mit der Anrufung Gottes, erklärt Sicking später, eröffnen die Gießer traditionell den Bronzeguss. „Und das ist nicht nur Gerede, sondern ernst gemeint“, sagt er. Seine Chefin bestätigt: „Das erinnert uns an den Sinn und Zweck unseres Tuns.“

 

Dann bittet sie die Gruppe nach draußen, wo Fragen über Fragen auf sie einprasseln. Was alle wissen wollen: Wie lange die Glocken brauchen, um auszuhärten. „Die kühlen gemütlich übers Wochenende aus, Montag legen wir sie frei“, sagt Ellen Hüesker. Mit Handschuhen müsste man die Glocken zu dem Zeitpunkt aber immer noch anfassen. Schließlich würden die Glocken gereinigt und musikalisch geprüft, bevor sie im Glockenstuhl der Marienkapelle montiert werden.

Die Glocken wurden am Pfingstsonntag 2016 geweiht.